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Dr. Frank Melzer, Vorstand Product and Technology Management bei Festo, leitet den Lenkungskreis der Plattform Industrie 4.0.

© Festo AG

Dieses Jahr ist für uns alle etwas anders gelaufen als gedacht. Viele Industrie-Akteure waren und sind stark betroffen von der Krise. Wie kann Industrie 4.0 helfen diese Zeit zu meistern? 

Wir haben die letzten Monate gesehen, dass die Pandemie Digitalisierungstrends verstärkt und beschleunigt. Das trifft auch auf die produzierende Industrie zu. Intelligent vernetzte Produktion wird mehr und mehr zum Standard. Das wundert uns nicht: Digitalisierte Produktion kann krisenfester machen. Unternehmen können so schneller und passgenauer auf Veränderungen am Markt reagieren. In der digitalisierten Industrie ist der Mensch zwar weiterhin essenziell, aber nicht mehr unbedingt immer vor Ort in der Fabrikhalle. Viel kann remote geregelt werden, durch intelligente Shopfloors und vernetzte Systeme. So kann Industrie 4.0 helfen die Krise nicht nur zu überstehen, sondern auch gestärkt aus ihr heraus zu gehen. Gerade ist eine enorme Bereitschaft da, den nächsten Digitalisierungssprung zu erreichen – sowohl in den Unternehmen als auch in der Politik. Das aktuelle Konjunkturpaket ist hier zum Beispiel eine riesige Chance, um unsere Produktionsweisen umfassend zu modernisieren. Das sollten wir unbedingt nutzen! 

 

Die Arbeit der Plattform flankiert seit ihrer Gründung die Digitalisierung der Industrie: Was waren im letzten Jahr die zentralen Ergebnisse der Plattform Industrie 4.0? 

In der Plattform arbeiten wir an den drei Hauptsträngen Datensouveränität, Interoperabilität und Nachhaltigkeit. Im Bereich Souveränität ist GAIA-X zentral. Das europäische Projekt baut eine vertrauenswürdige, souveräne Infrastruktur auf. Die Plattform Industrie 4.0 und ihre Akteurinnen und Akteure haben das Projekt mitinitiiert und maßgeblich gestaltet. Auch unsere Konzepte wie „Security-by-design“ und die Verwaltungsschale fließen in die technische Entwicklung mit ein. Ein anderer Meilenstein ist unser Use Case „Collaborative Condition Monitoring“. Hier werden Daten multilateral über das gesamte Wertschöpfungsnetzwerk geteilt. Wir zeigen auf, wie digitale Ökosysteme selbstbestimmt gestaltet werden können. Der Use Case ist auch für GAIA-X relevant, weshalb wir ihn dort eingebracht haben. 

Unsere vorwettbewerblichen Konzepte zu Interoperabilität und Standards gehen mehr und mehr in die Umsetzung. Die Verwaltungsschale ist inzwischen fester Bestandteil von über 30 Umsetzungsprojekten und offizielle IEC Normreihe. Konzepte wie „Security-by-design“ und RAMI4.0 helfen dabei, den Schnittstellenstandard OPC UA weiterzuentwickeln. Das geschieht zum Beispiel im Rahmen des Projekts „Interoperable Interfaces for Intelligent Production“. Das „Recht-Testbed“ und das KI-Reallabor erproben interoperable Systeme  in Bezug auf ihre Rechtssicherheit und Integration von intelligenten Anwendungen. Die Vorreiterrolle Deutschlands bei der Standardisierung zahlt sich international aus, da unsere Lösungen aufgegriffen werden – von China bis zu den USA. 

Zudem schauen wir auf die soziale und ökologische Nachhaltigkeit von Industrie 4.0. Der Sozialpartnerdialog ist integraler Bestandteil der Arbeit der Plattform. Stets erarbeiten Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreterinnen und -vertretern gemeinsam neue Formen der Arbeit und des Lernens. In der Krise zeigen sie auf, wie unterschiedliche Unternehmen mit mobiler Arbeit und einem neuen Maß an Agilität umgehen. Die Charta für gute Arbeit sorgt dafür, dass soziale Nachhaltigkeit Kern von Industrie 4.0 ist und bleibt. Zudem arbeiten wir daran, wie Industrie 4.0 auf Ziele der ökologischen Nachhaltigkeit einzahlt. Viele Unternehmensbeispiele zeigen auf, wohin die Reise hier gehen kann. Denn auch hier haben die Diskussionen in der Corona-Krise gezeigt, dass es nicht darum geht die Klimakrise gegen die Corona-Krise auszuspielen. Wir müssen beides lösen und bei beidem ist Industrie 4.0 ein Teil der Lösung! Das macht uns zu einem attraktiven Partner und das sollten wir nutzen. 

 

An dieser Stelle wollen wir einen Blick in die Zukunft werfen: Wie entwickelt sich die Industrie in der Post-Corona Welt? 

Ich glaube, dass wir resilienter und nachhaltiger aus der Krise gehen werden. Jetzt ist der Moment, um Produktionsabläufe zu flexibilisieren sowie Wertschöpfungsstrukturen und Lieferketten zu optimieren. Damit werden Unternehmen krisenfester und wettbewerbsfähiger. Dazu braucht es interoperable und innovative Lösungen. Deshalb entsteht aus der Plattform Industrie 4.0 heraus aktuell eine neue Nutzerorganisation zur Verwaltungsschale. Damit soll der „digitale Zwilling für Industrie 4.0“ herstellerübergreifend nutzbar werden. Zudem verfolgen wir die Entwicklungen von digitalen Geschäftsmodellen und zeigen hierbei relevante Wirkmechanismen und Erfolgsfaktoren auf.  

Unser Leitbild zu Industrie 4.0 bringt unseren Blick in die Zukunft auf den Punkt: Europa hat es in der Hand, der führende Standort für offene, digitale Ökosysteme in der Welt zu werden! Wir haben in der Plattform intensiv diskutiert, welche Effekte Corona auf uns haben wird. Diese durchaus optimistische und chancenorientierte Botschaft war die Quintessenz. Jetzt ist der Moment unsere Kompetenz und unser Wertversprechen deutlich nach außen zu tragen! Gerade im B2B-Bereich kann Europa die wettbewerbsfähigsten Lösungen für offene, digitale Ökosysteme anbieten. Und Teil des Leitbildes ist die Nachhaltigkeit, die hier als Wettbewerbsfaktor gedacht wird. Industrie 4.0 bietet wesentliche Lösungen für eine moderne Kreislaufwirtschaft oder die Minimierung des CO2-Fußabdrucks an. Wir helfen dabei große Zukunftsherausforderungen zu lösen!