Kai Garrels, Leiter der Arbeitsgruppe “Referenzarchitekturen, Standards und Normung“

Kai Garrels, Leiter der Arbeitsgruppe “Referenzarchitekturen, Standards und Normung“

© Andreas Henn

Frage 1: Für die intelligente Vernetzung von Anlagen und Produkten ist Interoperabilität unverzichtbar. Wie lässt sich sicherstellen, dass alle Komponenten in einem Wertschöpfungsnetzwerk harmonisch zusammenwirken?

Für das reibungslose Zusammenwirken gibt es drei wesentliche Aspekte. Der erste Aspekt ist eine gemeinsame Kommunikationsstruktur, sprich Netzwerke und Protokolle. In der Plattform I4.0 gehen wir davon aus, dass das Internet dieses gemeinsame Netzwerk bildet. Damit bildet das Internet Protocol IP die unterste Basis der Kommunikation.

Zweitens ist eine gemeinsame Sprache mit Zeichen, Vokabeln, Grammatik und Semantik notwendig. Der zentrale Baustein hier ist die Industrie 4.0-Komponente. Die I4.0-Komponente besteht aus einem physischen Gegenstand – einer Maschine, einem Bauteil etc. – und dessen digitalem Abbild, der sogenannten Verwaltungsschale. Über die von der Plattform konzipierte Verwaltungsschale erfolgt der Austausch von Merkmalen, Prozessvariablen und Sollwerten sowie der Aufruf von fachlichen Funktionalitäten. Beispielsweise der Befehl: „Bohre ein Loch 3.5mm Durchmesser 4mm tief an Position 4.“

Drittens braucht es gemeinsame Spielregeln für Cyber-Security und Datenschutz. Diese Thematik behandelt unsere AG3, mit der wir eng zusammenarbeiten. Das zentrale Konzept heißt hier Datenintegrität.


Frage 2: Verschiedene Branchen, IT und Maschinen – bei Industrie 4.0 verschmelzen viele vermeintlich getrennte Bereiche. Welche Auswirkungen hat das auf die Erarbeitung von Standards?

Zunächst ist es wichtig, dass sich Anbieter und Kunden von Industrie-Komponenten und Maschinen zusammensetzen und sich Klarheit darüber verschaffen, welches die wichtigsten Informationen sind, die ausgetauscht werden müssen, z.B. zwischen Anbietern und Nutzern von elektrischen Antrieben oder anderen Automatisierungskomponenten. Experten für Software- und Hardware aus der Plattform Industrie 4.0, VDMA und ZVEI sind hier in verschiedenen Arbeitsgruppen gemeinsam aktiv.

Der Begriff „Industrie“ bezieht sich sowohl auf die Bereiche Fertigungsindustrie als auch auf die Prozessindustrie. Allerdings bleibt die Digitalisierung nicht an der Branchengrenze „Industrie“ stehen; zum Beispiel wird ein intelligenter Traktor in der „Industrie“ hergestellt, dann aber in „Intelligenter Landwirtschaft“ verwendet. Wir streben an, dass unsere Vorschläge diese Branchengrenzen verbinden können; daher können wir nicht ausschließlich auf Industriestandards setzen, sondern haben auch einen Fokus darauf, wie man andere Branchen anbinden kann.
Natürlich sollen unsere Vorschläge nicht an nationalen Grenzen scheitern, so dass wir in engem Kontakt mit anderen Ländern wie zum Beispiel Frankreich und China stehen. Am Ende des Weges soll eine internationale Standardisierung stehen, und hierbei unterstützt uns das Standardization Council I4.0, dass die deutschen Standardisierungsaktivitäten auf internationalem Parkett koordiniert.


Frage 3: Viele Unternehmen zögern mit Investitionen, da sie nicht auf den einen Standard setzen wollen, der sich am Ende nicht durchsetzt. Welchen Rat haben Sie an Unternehmen für den Umgang mit Standards?

Ich sehe zwei Schritte: zunächst können sich Unternehmen schon jetzt die strategischen Fragen stellen, die mit der Digitalisierung verbunden sind: Wie wird sich meine Branche und meine Firma verändern? Über welche Wege werden unsere Produkte angeboten und wie wird die Entscheidung beim Kunden gefällt? Ist das Produkt entscheidend, oder vielleicht andere Aspekte? Welche Rolle spielen mitgelieferte Daten oder digitale Funktionen, Dienstleistungsangebote oder die perfekte Darstellung des Produktes in Webshops oder Engineering-Tools, die unsere Kunden verwenden? Wer in letzter Zeit zum Beispiel ein neues Auto ausgesucht und gekauft hat, der hat vielleicht schon einen ersten Eindruck von diesen Veränderungen bekommen. Zu diesen Fragen können die Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Unterstützung anbieten oder vermitteln.

Bei den Schlussfolgerungen im nächsten Schritt spielen dann Standards eine große Rolle: auf welcher Basis möchte ich z.B. meine interne Automatisierungslandschaft aufbauen? Welche Schnittstellen fordern meine Kunden von mir, wie soll ich meine Produktdaten „ausliefern“? Bei welchen Prozessen muss ich zusätzliche Informationen erfassen oder bereitstellen? Wenn es dann passende Standards gibt, auf die sich Wertschöpfungspartner verständigen können, erleichtert dies die Zusammenarbeit. Hier gibt es bereits klar identifizierte Kandidaten, wie z.B. OPC-UA für die Kommunikation in der Fertigung oder ecl@ss für den Austausch von Produktmerkmalen.

Schnell einen Anfang zu finden, selbst zu experimentieren und erste Schritte zu gehen erscheint mir wichtiger als das Warten auf den „perfekten akzeptierten“ Standard. Wenn man wartet, könnte man den richtigen Zeitpunkt verpassen und nicht mehr genug Zeit zum Üben und Ausprobieren haben.