Bernd Leukert, Vorstandsmitglied bei SAP SE, zuständig für Produkte & Innovation

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© SAP SE

Frage 1: Was muss Deutschland tun, um in KI erfolgreich zu sein?

Bundeskanzlerin Merkel sagte in der letzten Generaldebatte im Deutschen Bundestag, dass Deutschland auch bei Künstlicher Intelligenz Weltklasse werden wolle. Ich sehe den Einsatz von KI im industriellen Kontext als essentiell, um Industrie 4.0 auf die nächste Stufe zu heben und die Spitzenposition der deutschen Industrie weiter zu stärken, denn beim Thema KI können wir auf eine zentrale Stärke Deutschlands setzen: die Anwendungen in der Industrie.

Als führende Industrienation, insbesondere im Maschinen- und Anlagenbau, haben wir prinzipiell Zugriff auf einen Großteil der von Maschinen generierten Daten. Diese Daten sind die Grundlage für industrielle KI-Anwendungen, die Produktionsprozesse optimieren, Produkte verbessern und einen wesentlichen Beitrag zur Attraktivität und Zukunftsfähigkeit des Innovations- und Produktionsstandorts Deutschland leisten werden.

Um die besagten Daten optimal zu nutzen, brauchen wir eine innovationsfördernde Datenpolitik, die in Deutschland noch nicht bestimmt genug geführt wird. Technisch gesehen ist für den Erfolg von KI eine größtmögliche Menge an Trainingsdaten erforderlich: Je mehr Daten verfügbar sind, desto besser können Algorithmen lernen und desto besser werden die KI-Angebote sein. Ihren Plänen, das Open-Data-Gesetz im Sinne von „open by default“ zu überarbeiten und so Verwaltungsdaten zur Nutzung bereitzustellen, hinkt die Bundesregierung jedoch leider aktuell noch hinterher.

Außerdem dürfen wir eins bei unseren KI-Bestrebungen nicht aus den Augen verlieren: Um die Souveränität der deutschen Wirtschaft weiterhin zu erhalten, müssen wir neben den klassischen Infrastrukturen wie Energie und Verkehr den Fokus auch auf die digitale Infrastruktur legen, diese selbst aufbauen und auch betreiben können.

Frage 2: Digitale Effizienzsteigerung scheint in den deutschen Fabriken bereits Realität zu sein. Wie sieht es mit datenbasierten Geschäftsmodellen aus?

Digitalisierte Fabriken sind in Deutschland Realität. In zahlreichen deutschen Fabrikhallen sehen wir, dass dank digitaler Technologien Maschinen schon gewartet werden, bevor kostenintensive Ausfälle passieren. Teurer Energieverbrauch wird klug optimiert, Produkte werden kundenspezifisch individualisiert, und Beschäftigten wird die Arbeit erleichtert.

Die Digitalisierung der deutschen Industrie kommt deutlich voran. Wir müssen allerdings auch ehrlich sein: Obwohl alle seriösen Studien eine signifikante Steigerung der Effizienz durch Industrie 4.0 prognostizieren, hat sich in der Breite noch nicht die vorhergesagte Produktivitätssteigerung eingestellt. Grund sind unter anderem die hohen Anfangsinvestitionen.

Darüber hinaus gilt: Damit alle Potentiale der Digitalisierung gehoben werden können, müssen Unternehmen bereit sein, ihre Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln und ihre Organisationsstrukturen zu überdenken. Wir werden uns nicht über Grundlagenforschung differenzieren, sondern darüber, passende KI- bzw. Deep-Learning-Modelle auf Geschäftsszenarien anzuwenden. Hier haben wir das größte Potential in Deutschland und gleichzeitig den größten Aufholbedarf.

Digitale - das heißt in der Regel datenbasierte - Geschäftsmodelle bleiben auf dem deutschen Markt leider noch zu oft eine Vision. Dabei machen die veränderten Kundenerwartungen, die wachsende Plattformökonomie und die steigende Bedeutung von Wertschöpfungs-Ökosystemen schon lange deutlich, dass die Verbindung von industriespezifischen Know-how mit datenbasierten Dienstleistungen entscheidend für den zukünftigen Markterfolg sein wird.

Die Arbeitsgruppe „Digitale Geschäftsmodelle in der Industrie 4.0“ der Plattform ist dabei, die sich verändernden volks- und betriebswirtschaftlichen Mechanismen genauer zu analysieren und Empfehlungen für Politik und Wirtschaft herauszuarbeiten.

Als Volkswirtschaft, die fast ein Viertel ihrer Wertschöpfung aus der Industrie erwirtschaftet, können wir es uns schlichtweg nicht leisten, die klaren Signale des Marktes zu ignorieren. Um neue Geschäftsmodelle zu ermöglichen, braucht es zunehmend agile Wirkmechanismen innerhalb von Unternehmen, die sich von starren, hierarchiegeprägten Strukturen verabschieden müssen. Aber es bedarf auch ganz klar einer Anpassung der regulatorischen Rahmenbedingungen an die neue Realität. Dazu gehören der Verzicht auf eine Sonderbesteuerung von digitalen Geschäftsmodellen, eine innovationsfreundliche Ausgestaltung der Datenschutzgrundverordnung im Sinne von KI-Anwendbarkeit, der Ausbau der Gigabit-Infrastruktur sowie die bereits erwähnte Umsetzung der Open-Data-Strategie der Bundesregierung.

Frage 3: Welche Effekte wird KI auf die Beschäftigten haben?

In erster Linie wird KI die Arbeit von Beschäftigten erleichtern und komplementieren, so wie es neue Technologien in der Vergangenheit auch getan haben. KI birgt großes Potenzial, Arbeitsbedingungen und die Lebensqualität zu verbessern.

Um das zu erreichen, ist ein enger gesellschaftlicher Dialog zwischen allen beteiligten Interessensvertretern, insbesondere Arbeitnehmervertretern, essentiell. Deshalb setzen wir bei diesem Thema in der AG „Arbeit, Aus- und Weiterbildung“ der Plattform auch auf eine breite Repräsentanz unterschiedlicher Stakeholder. In der hier gerade neu gegründeten Unterarbeitsgruppe „Künstliche Intelligenz“ wird es unter anderem darum gehen, wie Qualifizierung mit neuen Technologien im Unternehmen aussehen kann.

Auch bei zunehmender Automatisierung durch KI bleiben die Kompetenzen des Menschen unersetzbar, aber seine Arbeitsinhalte werden sich ändern. Da „codierbare“ Routineaufgaben zunehmend von Maschinen übernommen werden, steigt die Bedeutung nicht formalisierbarer Tätigkeiten von Beschäftigten wie etwa Kreativität, interdisziplinäre Zusammenarbeit und Umgang mit Komplexität. Kontinuierliche Weiterbildung – arbeitsplatznah und kulturell in der Organisation verankert – ist der Schlüssel, damit alle Beschäftigten den neuen Anforderungen gerecht werden können.

Genauso wichtig ist, dass sich die Politik proaktiv mit den Auswirkungen von KI auf den Arbeitsmarkt und den Wettbewerb auseinandersetzt und mögliche Anpassungen sozialer Sicherungssysteme und des wirtschaftspolitischen Rahmens im Sinne einer Sozialen Marktwirtschaft 4.0 prüft. Dazu gehört auch eine Reform des Bildungssystems hin zur Förderung neuer KI-bezogener Studiengänge sowie die Überarbeitung von Curricula diverser Fachrichtungen zur Einbindung von Digitalisierungsthemen.

Ich meine, dass Software und KI in alle Studiengänge integriert werden müssen. Dazu braucht es nicht nur eine Reform der Lehrpläne, sondern auch der Lehrenden. Gleiches gilt auch für die Fachausbildung von Handwerksberufen. Wir müssen die Veränderungen in allen Berufsbildern angehen – und zwar jetzt.