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Julia Görlitz

1. Was hat Dich bewogen, im politischen Bereich aktiv zu werden?

Mein Geographie-Lehrer, selbst Quereinsteiger im Schulbetrieb, inspirierte mich durch seine damals recht unkonventionellen Lehrmethoden. Ich studierte, wie überdurchschnittlich viele seiner Schülerinnen, Geographie. Den Vorschlag eines Dozenten, mich im Bereich Wirtschafts- und Humangeographie zu spezialisieren, lehnte ich noch dankend ab. Auf Bodenkunde fokussiert begab ich mich für meine Masterarbeit zusammen mit dem Deutschen Archäologischen Institut lieber auf die Suche nach bronzezeitlichen Siedlungen in Tadschikistan. Und wurde fündig!
VerfechterInnen von geraden Lebensläufen mögen das als Irrweg bezeichnen. Was mich hingegen lenkte, war die Neugier, Spaß am eigenen Tun und Erfolgserlebnisse, egal auf welchem Feld. Und wundervolle WegbegleiterInnen, die in mir ein Potential gesehen haben, dessen ich mir nicht bewusst war. Letztendlich hat mich die Lust am Entdecken zur IG Metall und zur AG “Arbeit, Aus- und Weiterbildung“ gebracht.

2. Du hast die Leitung der Arbeitsgruppe während der Coronavirus-Pandemie übernommen. Was bedeutet die aktuelle Krisenzeit für die Zukunft der Arbeitswelt und der Qualifizierung?

Ich denke, die gemeinsame Pandemie-Erfahrung hat uns gezeigt, dass vieles möglich geworden ist, woran vorher kaum zu denken war. Obschon wir uns alle wieder mehr Normalität wünschen, bin ich davon überzeugt, dass sich unser Verständnis von Normalität bereits gewandelt hat. Die Debatten zu Dienstreisen, mobilem Arbeiten und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz – um nur einige Themen zu nennen – haben ganz neue Facetten bekommen, auch Ansprüche haben sich gewandelt. Die technische Ausstattung vieler Beschäftigten hat sich immens verbessert. Hier liegen auch für die Zeit nach Corona viele Möglichkeiten, nicht zuletzt für digitale Bildungsformate. Aus diesem Grund möchte ich im Rahmen der Arbeitsgruppe diesen Fragen widmen: Welche neuen Praktiken aus der Pandemie-Zeit nehmen wir bewusst mit? Was bedeutet die Coronakrise für die aktuelle Generation von Auszubildenden?
Es ist schon paradox: Durch die vielen Videokonferenzen gewinne ich Einblicke in Lebensbereiche vieler Menschen, die sonst nur Freunden und der Familie vorbehalten sind. Ich kenne ihre Kinder und oftmals ihre Wohnzimmer. Zugleich zeigt sich, dass vertrauensvolle Beziehungen im virtuellen Raum nur mit großem Engagement und beiderseitigem Willen entstehen können. Ich bin froh, bei den AG 5-Mitgliedern genau das vorgefunden zu haben. Auf dieser Grundlage haben wir uns mit der Charta für Lernen und Arbeiten in der Industrie 4.0 ein Wertefundament gegeben. In Anbetracht der Corona-bedingt schwierigen Situation ist das eine ganz erstaunliche gemeinsame Errungenschaft.

3. Was bedeutet lebenslanges Lernen für Dich?

Für mich gehört Lernen zum Leben wie Essen und Schlafen. Es ist so selbstverständlich wie vergnüglich. Deswegen gefällt mir auch das Bild der „Lernreise” so gut. Geht es mir im Privaten in erster Linie um das genüssliche Lernen „querbeet”, ist der kurzfristige Mehrwert des Erlernten im Berufsleben von entscheidender Bedeutung. Es entsteht der Eindruck, wir hätten keine Zeit mehr für Umwege. Diese Annahme halte ich für einen Trugschluss. Wir brauchen heute mehr denn je eine neue Lernkultur, mehr Gründergeist, Innovationskraft und die Bereitschaft, uns mit neuen Themen auseinanderzusetzen.
Ein lohnenswertes Reiseziel ist überaus motivierend. Derzeit wissen wir noch nicht genau, wohin uns die Industrie 4.0 führen und wie wir uns am besten auf die Reise vorbereiten, also welche Anschlussqualifizierungen wir brauchen. Die Mitglieder unserer Arbeitsgruppe bringen enormes Wissen und Erfahrungen mit, um auf die Frage nach den Zukunftskompetenzen Antworten zu geben. Mein Wunsch ist, unser Wissen mit starken Bildern verständlich und eingänglich zu kommunizieren, um auch jene zu ermutigen, deren Reise nach der Ausbildung ein vermeintliches Ende gefunden hatte.
Ich kenne viele Menschen, vor allem in der Reisenation Deutschland, die es am meisten bedauern, ihre wohlverdiente und lang ersehnte Urlaubsreise pandemiebedingt verschieben zu müssen. Die gute Nachricht ist jedoch, dass für “Lernreisen” keinerlei Beschränkungen gelten. Ganz im Gegenteil: Nicht zuletzt dank der Digitalisierung lassen sich ungeahnte Wissensschätze heben – und das 24/7 vom heimischen Wohnzimmer aus. Oder vom Strand. New Work sei Dank.