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Markus Bell, Global Head of Vocational Training bei SAP

© Markus Bell

Was bedeutet Führung für Dich?

Seit 10 Jahren führe ich nur virtuell, da viele meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ausland leben und arbeiten. Ich fliege auch nicht ins Ausland, um Beschäftigte einzustellen. Alles muss daher virtuell ablaufen. Bei jeder Einstellung muss ich mir überlegen, wie wir unsere Mitarbeiter/innen weiterentwickeln können und wie wir ein gutes Vertrauensverhältnis aufbauen, egal, ob sie in Brasilien oder China leben. Vor geraumer Zeit haben wir uns bei SAP komplett vom „Command-and-Control“-Modell getrennt. Im Prinzip ist jeder für sich selbst verantwortlich, was mit großer Freiheit und Flexibilität verbunden ist. Wir sind alle ohnehin hinsichtlich unserer Unternehmenskultur so sozialisiert. Führung hat für mich während der Corona-Pandemie grundsätzlich die gleiche Bedeutung wie im normalen Arbeitsalltag. Wir verlassen uns auf virtuelle Strukturen, die wir in den letzten Jahren aufgebaut haben. Mein Ansatz muss aber zurzeit etwas angepasst werden, um die aktuellen, besonderen Bedürfnisse der Belegschaft zu berücksichtigen.

Wie sieht Personalentwicklung in einem virtuellen Format aus?

Bei uns gibt es eine neue Leistungsbeurteilung – den sogenannten „SAP Talk“ Prozess. Das heißt, man redet nicht mehr über Noten oder Rankings, sondern über die Lernziele für die nächsten sechs Monate – ein dynamisches Thema. SAP hat eine recht flache Hierarchie, wir sind alle per Du und jeder kann Kontakt zu jedem aufnehmen und ihn „anpingen“. Die virtuelle Tür ist immer offen. Es ist aber nicht immer ganz unproblematisch. Manchmal gibt es kulturelle Missverständnisse – sicherlich habe ich da in den letzten 10 Jahren auch Fehler gemacht. Hinsichtlich dessen bin ich aber inzwischen viel besser vorbereitet!

Was sind die wichtigsten Kompetenzen für Führungskräfte während der Pandemie?

Wichtig ist – aufgrund der Entfernung – offen, ansprechbar und entscheidungsfreudig zu sein. Man muss das Team abholen und nach Meinungen fragen – und dabei bereit zur Akzeptanz von Neuem bleiben. Gleichzeitig müssen sich die anderen auf meine Äußerungen verlassen können. Ich glaube, das fordert eine ziemlich starke Führungspersönlichkeit. Gleichzeitig sehe ich auch, dass wir unsere Belegschaft anders unterstützen müssen. Man muss empathisch bleiben und Angebote schaffen – wie bei-spielsweise eine andere Aufteilung von Aufgaben als bisher, die richtige technische Ausstattung oder soziale Angebote wie die virtuellen informellen Teammeetings ganz ohne vorgegebene Agenda. Wir haben sogar ein Wein-Seminar und einen virtuellen Kochkurs mit Tim Mälzer veranstaltet.
Letzten Endes bin ich überzeugt, dass die Pandemie in vielen Unternehmen eine neue Führungskultur einführen wird. Wir werden die Krise nur in einer kooperativen, kollaborativen Stimmung durchstehen können – ohne zu viel Hierarchie.