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Arbeit, Aus- und Weiterbildung in den Zeiten von Corona

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Kinder, Küche, Konferenz

Kaffeevollautomat anschalten, Waschmaschine anschmeißen. Dann geht es direkt in die nächste virtuelle Konferenz, um die neue Konzernbetriebsvereinbarung unter Dach und Fach zu bringen. Und das in der Hoffnung, dass die Kinder im Hintergrund nicht zu laut schreien oder dass die Motivation durch die abgehackten Stimmen der Kolleginnen und Kollegen nicht verloren geht.

Wie sieht der Arbeitsalltag aus?

Von einem Tag auf den anderen mussten Arbeit, Aus- und Weiterbildung in virtuelle Formate umgewandelt werden. Plötzlich war der Widerstand der Geschäftsleitung gegenüber Home-Office komplett aufgelöst, sagt uns Monika Heim, Betriebsrätin bei Festo in Esslingen. Es gab gar keine andere Lösung, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Sowohl zwischen Betrieben als auch innerhalb eines einzelnen Betriebs kann Digitalisierung jedoch unterschiedliche Reifegrade haben – Umstände, die durch Corona verschärft werden. Die IT-Abteilung bei Festo hat es geschafft, innerhalb von zwei bis drei Tagen alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einer VPN-Verbindung für das Home-Office auszustatten. In anderen Unternehmen war der Übergang ins virtuelle Arbeiten auch sehr nahtlos. Denn geeignete Strukturen und technische Ausstattung waren bereits fest verankert und erprobt.

Beim globalen Konzern SAP ist für Markus Bell, Global Head of Vocational Training, das Motto „maximale Flexibilität“ längst gang und gäbe – der oder die typische SAP-Beschäftigte ist es gewöhnt, überall und jederzeit mobil arbeiten zu können. Für manche jungen Azubis und Singles bei SAP und Siemens Energie wird das Quarantäne-Office zu einer sehr einsamen Angelegenheit; für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Familien ist man natürlich mit der Doppelbelastung der Arbeit und Kinderbetreuung konfrontiert. Dies hat zur Folge, dass man häufig bis viel später in den Abend arbeitet als früher. Die Grenze zwischen Arbeit und dem Privatleben verschwimmt.
Mit Bezug auf diejenigen, die während der Krise nicht arbeiten können oder dürfen, sprechen manche Teilnehmerinnen und Teilnehmer von einer „Zweiklassengesellschaft“ zwischen den Angestellten im Home-Office und Werkerinnen und Werkern, die jetzt nicht mehr in der Produktionshalle arbeiten dürfen. Personaler müssen sich schnell mit sogenannten Kurzarbeitszuschussverfahren vertraut machen. Hier stellt sich die Frage, wie diese „leere“ Zeit sinnvoll genutzt werden kann. Wie können diese Beschäftigten zur digitalen Weiterbildung bewegt werden, wenn sie mit den nötigen digitalen Firmengeräten ohnehin nicht ausgestattet werden, weil diese zu teuer seien? Reicht es, wenn sie ihre digitalen Kurse auf dem eigenen Rechner oder Tablet abschließen?

Welche Grundsätze sind der Arbeitsgruppe besonders wichtig?

In der Krise kristallisiert sich die Erkenntnis heraus, dass wir eine Kombination von detaillierten Regeln – wie Betriebsvereinbarungen, Arbeitszeitrahmen oder Infektionsschutzmaßnahmen – als auch Grundsätzen brauchen, um diese einmalige Situation meistern zu können. Corona ist Katalysator für vieles: Home-Office und digitale Weiterbildungsangebote werden auch nach der Pandemie selbstverständlich sein. Gleichzeitig zeigt uns die Krise, was unsere Werte wirklich sind und was unserer Arbeitgeberin oder unserem Arbeitgeber wichtig ist. Christoph Kunz, Global Head of Vocational Training bei Siemens Energie, betont die Relevanz von Leadership, statt „Management“. Kaum zuvor in unserem Arbeitsleben war es von größerer Bedeutung für Führungskräfte, sich gleichzeitig kritisch zu hinterfragen und in den anderen hineinversetzen zu können. Denn die Herausforderungen der Beschäftigten, die derzeit auftauchen – die Einsamkeit, manchmal Verzweiflung – fordern sowohl Empathie und agiles Denken als auch organisatorisches Geschick. In dieser Zeit wird klar, wer diese Kompetenzen tatsächlich in sich trägt. Unsere Gespräche zeigen, dass der Teil-nehmerkreis der Arbeitsgruppe kreative Ideen konzipiert hat – wie beispielsweise den „Bloody Donnerstag“, an dem sich die Azubis auf ein „virtuelles Radler“ treffen, um sich in informeller Atmosphäre auszutauschen.

Gegenseitiges Vertrauen zwischen der Belegschaft und der Führung ist essenziell, so Sebastian Henke, Personalleiter bei optima Packaging in Schwäbisch Hall. In den Unternehmen, in denen Home-Office vor der Corona-Krise nicht gängige Praxis war, sei die Umwandlung in die Home-Office-Arbeit mitunter mit Misstrauen verbunden. Eine Arbeitsweise, die gleichzeitig flexibel ist und die Vereinbarkeit vom Berufs- und Privatleben ermöglicht, müsse jedoch nach Auffassung von Herrn Henke zur Selbstverständlichkeit werden. Zum Thema Familienleben hat uns Monika Heim erzählt, dass die Krise Aspekte der Gendergerechtigkeit hervorhebt: Mancher männliche Mitarbeiter erfahre erst jetzt, was genau seine Frau tagtäglich unter einen Hut bekommen muss. Es bleibt zu hoffen, dass sich diese Entwicklung hin zu einer gerechten Aufteilung der Alltagspflichten fortsetzt. Zugleich gilt auch und gerade im Home-Office: Das Recht auf Abschalten und Arbeitsschutz sind wichtig.
Die Erfolge der zukünftigen Arbeitswelt werden aus einer Kombination von Altem und Neuem stammen. Die seit Jahrzehnten erprobte Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft sind entscheidende Grundsätze, die wie schon 2008/2009 helfen können, die Folgen der Krise im gesamtgesellschaftlichen Interesse abzufedern. Letztlich spielt auch die Digitalisierung beim Anpassen des Unternehmens an die aktuellen Umständen eine wesentliche Rolle. Firmen, die innovativ und strategisch visionär sind, werden diese harten Zeiten besser durchstehen können. Die Digitalisierung ist aber kein Selbstzweck. Wie von Andreas Becker, Betriebsrat bei Merck, erläutert wird: „Den Menschen muss man als Erstes sehen, und dann die Technik“.

Was nehmen wir mit in die Zukunft?

Keiner weiß, wie lange diese Pandemie dauern wird. Zusätzlich zur Hoffnung, dass die Krise bald vorbei ist und das normale Leben zurückkehrt, besteht eine zweite Hoffnung in der Arbeitsgruppe, nämlich dass wir Impulse erhalten, uns in den Unternehmen tiefer mit unseren Grundsätzen auseinanderzusetzen: sei es Führung, Mitbestimmung, Empathie, Chancengleichheit, Innovation oder soziale Gerechtigkeit. Sebastian Henke regt an, unbedingt „die Möglichkeiten zu nutzen, breiter zu denken: denn die Corona-Krise bietet, sobald sie abklingt, die besondere Möglichkeit, wirtschaftliche, gesellschafts- und sozialpolitische Missstände zu korrigieren“.